Mathias Schwarz über sexualisierte Gewalt
"Redet, redet, redet!"
Forum Studie ist Doppelpunkt
Schwarz berichtete über seine persönlichen Erfahrungen als Betroffener und wie er in den 70er Jahren über drei Jahre lang sexualisierter Gewalt ausgesetzt war. Der Beschuldigte war ein hoch angesehener Pfarrer, der mittlerweile verstorben ist. Mathias Schwarz berichtete vom unterschiedlichen Umgang seitens der kirchlichen Stellen bei dem Thema. Als er nach den Übergriffen erstmal einen Seelsorger gesucht habe, fragte dieser ihn nach seinen Anteil am Vorfall und was denn seine Mitschuld sei. „Einen Vorwurf den Frauen noch heute kennen, etwa, dass sie einen zu kurzen Rock angehabt hätte“, so Schwarz. Danach habe er 40 Jahre lang geschwiegen.
Als er dann 2010 wieder mit seinen Erfahrungen an die EKHN herangetreten war, seien die Menschen restlos überfordert gewesen, so sein Eindruck. „Seit 2010 hätten es zumindest die Leitenden wissen können“, sagt er kritisch. Seit 2014, mit dem Ausbau der Fachstelle für sexualisierte Gewalt, habe sich der Umgang mit Betroffenen verbessert, so seine persönliche Erfahrung. „Man hat mir geglaubt, ich musste mich nicht rechtfertigen oder Beweise vorlegen.“
Die neusten Ergebnisse der Studie seien für ihn keine Überraschung gewesen. Sexualisierter Missbrauch in der Evangelischen Kirche sei kein Einzelfall. „Es kam vor und es kommt noch immer vor“, mahnte er eindrücklich.
„Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Schutzbefohlenen“, also Menschen die beispielsweise in der Seelsorge seien. Hier hob er lobend hervor, dass in der Kirche den Begriff der sexualisierten Gewalt weiter gefasst werde, als allgemein.
Aber „es nervt mich“, sagte er wörtlich, dass in den Medien nach der Pressekonferenz zur ForuM-Studie hauptsächlich die Frage nach Zahlen und der Akteneinsicht die öffentliche Diskussion beherrscht hätten. Dadurch sei die Qualität der Studie in den Hintergrund geraten sie. „Da ist viel Gutes erarbeitet worden“, betonte der Beauftragte für sexualisierte Gewalt. Das sei auch enorm wichtig, weil die Betroffenen „nicht mehr lange warten wollten.“ Für ihn sei die ForuM-Studie ein Doppelpunkt. „Jetzt können wir arbeiten“, sagt er den Synodalen in Taunusstein.
„Redet darüber“
Das Wichtigste für ihn sei jetzt ein offener, klarer und transparenter Umgang mit den Betroffenen. „Wir müssen über sexualisierte Gewalt reden“, lautet eine seiner Hauptforderungen. „Wir müssen beim Thema sexualisierte Gewalt sprachfähig werden.“ Je mehr darüber geredet wird, dass sexualisierte Gewalt auch zum Alltag der Evangelischen Kirche gehöre, desto mehr Betroffene trauten sich dann auch über ihre Erfahrungen zu berichten, so seine Erfahrung. Er führte in diesem Zusammenhang ein Beispiel eines Pfarrkollegen an, der einen Gottesdienst zum Thema sexualisierte Gewalt gehalten habe. Im Anschluss daran seien etliche Menschen auf ihn zugekommen und hätten sich getraut erstmals über ihre Erfahrungen von sexualisierter Gewalt in Familie oder anderen Institutionen zu erzählen.
Schwarz betonte, dass wenn es mehr Sprachfähigkeit in der Kirche gäbe sich und potentielle Täter das merkten, diese „dann verschwinden würden –wenn auch manchmal auch nur vom Ort.“ Darüber zu reden bedeute eben auch, dass man – wenn der Beschuldigte freiwillig den Arbeitsplatz wechsele, etwa um einem Disziplinarverfahren zuvorzukommen – dem künftigen Arbeitgeber deutlich hierüber informiere, um beispielsweise zu verhindern, dass er wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürfe.
Mathias Schwarz betonte, dass die Dekanatssynode des Evangelischen Dekanats Rheingau-Taunus die allererste Synode sei, die ihn zum Thema angefragt habe. Das nannte er in im Zusammenhang mit der Sprachfähigkeit „wunderbar und klasse!“
„Reden Sie darüber“, wiederholte er immer wieder. Auch das Dekanat Rheingau-Taunus habe eine Kinderschutzbeauftragte, die Kirchengemeinden begleiten könne. Zudem gibt es die Fachstelle der EKHN für sexualisierte Gewalt, an die man sich wenden könne und die einen in diesen Fragen gut begleite.
Er verwies zudem auf die Präventionskonzepte, die es in allen Kirchengemeinden seit 2015 gibt. „Nehmen Sie sich einmal im Jahr vor auf Ihrer Kirchenvorstandssitzung darüber zu reden, dann haben Sie es thematisiert“, war eine weitere Empfehlung.
Der stellvertretende Dekan Dr. Jürgen Noack (Hohenstein) ergänzte, dass der Dekanatssynodalvorstand den Kinder- und Jugendausschuss beauftragt habe, das vorliegende Präventionskonzept genau anzuschauen und gegebenenfalls zu überarbeiten.
Aus der Synode kam auch der Wunsch nach verpflichtenden Fortbildungen für alle Haupt- und auch Ehrenamtlichen in der Kinder- und Jugendarbeit auf. In den Teamerschulungen für Ehrenamtlichen in der Kinder- und Jugendarbeit sind diese bereits fest verankert. „Sie können jetzt schon aktiv mitwirken“, in dem das Dekanat hier vor Ort solche Schulungen ermögliche, so der Hinweis vom Mathias Schwarz.
Maßnahmenkatalog des Beteiligungsforums
Schwarz wies auch darauf hin, dass diese verpflichtenden Fortbildungen zu einem Maßnahmenkatalog gehörten, den das Beteiligungsforum der EKD den Landeskirchen im April vorschlagen werde.
Neben solchen verpflichtenden Jugendschutzschulungen fordere das Beteiligungsforum auch eine Veränderung des Disziplinarrechts und einheitliches Vorgehen bei Anerkennungsleistungen.
Bei den Anerkennungsleistungen sei die EKHN schon vorbildlich, lobte er. So erhalten Betroffene einen Sockelbetrag von 20.000 € „als Anerkennung des Versagens der Institution.“ Zusätzlich würden weitere individuelle Anerkennungsleistungen ausgezahlt. Solche Anerkennungsleistungen sollten flächendeckend in allen Landeskirchen der Evangelischen Kirchen von Deutschland (EKD) eingerichtet werden, so die Forderung.
Des Weiteren fordere man unabhängige Kommissionen, bei denen dann darauf geachtet wird, dass nicht mehrheitlich Personen aus der Kirche im Gremium sitzen. „Auch diese werden kommen“, freut sich Schwarz. „Leider berichtet die Presse nur kaum über solche gute Nachrichten“, sagte Schwarz abschließend zu den Delegierten.
Ein Interview mit Mathias Schwarz lesen Sie hier.